aktualisiert am 24.05.2016 Sommerfahrt auf dem Flaggschiff des Traditions-Segelclubs SC-RHE, Hamburg, von Dover entlang der normannischen Küste mit Besuch der Englischen Kanalinseln bis nach St. MaloAm 14.07.2004 treffen sich bei herrlichem Sonnenschein die 3. Crew der diesjährigen Sommerfahrt des Segelclubs RHE, zur ersten Crew Besprechung. Dies sind von links nach rechts:
Angereist sind Heiko, Werksleiter aus Berlin, Fabian, Schüler aus Lübeck, Mark, KFZ-Meister aus Ellerau und Rolf, angehender Rentner aus Ellerau. Wegen der besonderen Wetterbedingungen in diesem Sommer war die Reiseplanung ungewöhnlich schwierig. Seegang und Sommerstürme hatten jede Planung über den Haufen geworfen. Dies ist eine besondere Herausforderung für Lutz und alle Crewmitglieder. Eigentlich sollte das Schiff in Dublin, Irland, übernommen werden. Wir hatten die Flugtickets dazu in der Tasche. Lutz, Student, ist schon am Vorabend aus Freiburg bei seinen Eltern eingetroffen. Das Segeln hat er von Kindheit an auf Alster und Elbe gelernt. Er ist mit Leib und Seele Segler. Schnell nimmt er den schwankenden Gang des Seemannes an und kann Seegarn spinnen, wie ein Alter. Neben seinem Studium tritt Lutz als Manager von Bühnenauftritten auf. Diese Reise ist seine Jungfernreise als Schiffsführer auf Großer Fahrt. Alles ist anders gekommen, das Schiff, der RHE, ist bei weitem nicht nach Irland gelangt. Bereits die erste Crew dieses Sommers saß bei Sommersturm auf Helgoland fest und entschloss sich später entlang der Ostfriesischen Inseln zu segeln. In Emden übernahm die Zweite Crew den RHE. Es gab weitere erhebliche Schwierigkeiten im Englischen Kanal. Nach heftigem Sturm musste das Boot umkehren und lief schließlich Dover an. So verstauen wir unsere Seesäcke im VW-Bus und begeben uns auf die lange Fahrt von Hamburg, über Niederlande, Belgien und die schöne Bretagne nach Calais. Auf der Kanalfähre nach Dover und bekommen wir den ersten Eindruck vom Wetter im Englischen Kanal. Zahlreiche seekranke Passagiere sehen nicht besonders gut aus. Vater Rolf Otternberg fährt den Leihwagen nach Hamburg zurück. Heiko, ältester und erfahrenster Seemann an Bord, hat eine Atlantiküberquerung in West- Ostrichtung überstanden. Mit der hochseetüchtigen Jacht RHE war er schon bis zu den Azoren unterwegs. Man merkt ihm den Weltensegler an, der mit dem Flair eines Mannes ausgestattet ist, der weiß was er will und wie er es will. Wenn er früh morgens ernst und entschlosseen am Steuer steh wird klar: Er ist gewohnt, Menschen und Schiffe ohne viel Aufhebens zu führen. Fabian Dützmann (20), jüngster an Bord, ist Fahrtenwart der Lichtblick (Heimathafen Lübeck) beim RHE. Er ist Draufgänger, segelt mutig für sein Leben gern. Als Gymnasiast nimmt er sich Zeit, weiß viel um Segel, Wind und Wellen, passt sich hervorragend nicht nur den Seeverhältnissen an. Wir sind froh, ihn später aus dem Spalier der jungen Mädchen auf Guernsey unversehrt heraus bekommen zu haben. Auf den Planken eines Schiffes steht er fest und hält in jeder Lage umsichtig und ausdauernd Balance. Mark Schröder ist Kfz-Meister mit kleinem Latinum. Nicht nur Autos reparierterr professionell. Er ist abgehobener Künstler auf Gitarre und Schlagzeug. Trommel und Gitarre hat er vorsorglich zu Hause gelassen, weil er weiß, dass an Bord nur der Wind trommelt und pfeift. Mit seinem Vater hatte er einen unvergesslichen Segeltörn über Süderelbe - Hamburger Hafen - Nord-Ostseekanal - Ostsee, bis tief in die Schlei hinein über mehrere Tage gemacht. Auffällig für einen Schiffer ist sein langhaariger Auftritt, von dem er, trotz Sturmfahrt in Wind und Wellen auf dieser Reise nicht abweicht. Die an Bord mitgeführte Haarschneidemaschine kam nicht zum Einsatz. Mark gewöhnt sich überraschend schnell an die ungewöhnlichen Umstände, nimmt das Outfit von Seglern, die nicht gerade in grüner Kampfhose am Ruder stehen, schnell an. Den schwankenden Seemannsgang an Land lernt er bald. Zufällige Berührungen, in Folge der Enge nimmt er alsbald gelassen hin. Rolf als Senior ist willkommener Ballast an Bord. Ohne ihn läge das Durchschnittsalter der Crew bei 25 Jahren. Lutz hat es abgelehnt, seinen Vater als weiteren Alten an Bord zu nehmen. Das Übergewicht wäre zu lastig geworden. Er sagt er: "Ein Vater an Board ist genug." Mit der SeaFrance Fähre setzen wir über den englischen Kanal von Calais nach Dover über. Die Überfahrt wirkt kurz und bequem. Bei hohem Seegang bekommen wir Vorgeschmack auf das, was uns im Englischen erwartet. Wir blicken in bleiche Gesichter und Seekranke stehen an der Reling. Zwei Stunden später, aber eine Stunde früher landen wir in Dover nach Greenwich Zeit an. Mit Gepäckwagen stemmen wir uns gegen den Sturm. Auf dem RHE treffen wir Vater und Sohn Norbert und Mike Ladewich, die uns mit blassen Gesichtern atemlos von ihren Abenteuern bei Sturmfahrt berichten. Am nächsten Morgen machen Sie sich auf den Rückweg nach Hamburg. Unsere Lieben, zu Hause, können im Internet die Reise aktuell verfolgen. Am 15.07.2004 - 13:00 Uhr starten wir von Dover um den Englischen Kanal nach Boulogne-sur-Mer zu queren. Dort wollen wir, wegen der günstigeren Preise an der französischen Kanalküste, Proviant einkaufen. "Das Wetter ist bedeckt, aber kein Regen", meldet Lutz nach Hause. Auch unser Streckenwetter, zwischen Dover, Kanalregion bis Gibraltar können wir auf http://www.dwd.de oder über Link auf www.northsail.de ansehen. Als die Mole Dover hinter uns liegt, geht es los mit dem Seegang, den wir mit 3-4 m Welle abreiten. Mark, der sich irgendwie an Deck festhält, den Boden unter den Füßen verliert, ruft den Spruch des Tages in den Wind: „Ist das geil!“. Ich mache mich eilfertig, nachdenklich und behände auf den Weg zum Mast, um das Groß hochzuziehen. Unter dem Geschrei und Gejohle „hole, hole“, mache ich schlapp, schaffe das Hauptsegel, noch ungeübt, nur teilweise. Die Jungen freuen sich, helfen gern und ich anerkenne für den Rest der Reise ihre überlegene Kraft. Ich versuche am Horizont einen festen Punkt zu finden. Nach Passage der Fahrwasser-Mitten-Tonne geschieht es: Ein heftiges Verlangen treibt mich unter Deck. Fest eingekeilt auf der Toilette erwischt mich die Seekrankheit, erstmals mit voller Wucht. Bis zum Einlaufen in den Hafen Boulogne-sur-Mer, liege ich mit blauem Müllsack an den Lippen im Salon und kann erst nach dem Anlegen das Klo notdürftig reinigen. Die andern Crew-Mitglieder überstehen diese Prüfung erstaunlich gut. Heiko wurde (bei meinem Anblick) schlecht. Zu Lutz sagt er: "Halt mal kurz", kotzt in Lee auf die Rettungsboje und steuert weiter. Für den Rest der Reise, allerdings bei besserem Wetter, gibt es glücklicherweise keine Probleme mehr. Wir nehmen einen Tag Auszeit, Erholung, finden Boulogne-sur-Mer mit ägyptischen Tagen beschäftigt. Der Sohn der Stadt, Alexandre Guilmant (1837-1911) war berühmter Ägyptologe. Überall prangen Darstellungen der alten, ägyptischen Kultur an Plakaten an den Straßen. Die kleine Nachbildung der Cheops-Pyramide ist gerade fertig geworden. Der Nachbau historischer Nilschiffe ist in natürlicher Größe im Freien zu bewundern. Die Festung steht ganz im Lichte Ägyptens. Frankreich zeigt sich uns als Träger von Hochkultur und dieses Bild bleibt auf dieser Reise, die wir ja kurz nach den denkwürdigen Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Bretagne erleben. Am 17.07.2004 - 10:57 Uhr, verlassen wir etwa einer Stunde nach Hochwasser Boulogne-sur-Mer, um den mitlaufenden Strom ausnutzen. Tagesziel: Dieppe. Es ist sonnig. Die nächste Wolkenbank, Gewitter ist aber schon am Horizont zu sehen. Sicherheitshalber nehmen wir auch das Groß mal weg, als Donnergrollen hörbar wird. Wir bleiben ungeschoren, hoffen auf guten Wind, werden aber gegen Abend enttäuscht. In der Nacht erreichen wir Dieppe und machten eine unerfreuliche Erfahrungen. Der Franzose prägt den Satz des Tages: „You bad.“, weil wir seinen Liegeplatz belegt hatten. Nach sofortigem Verlassen versucht er hartnäckig noch bei unseren englischen Nebenliegern Dolmetscher zu finden. Die aber begrüßen uns um so herzlicher und übersetzen nicht das Schimpfwort, das einem von uns herausrutscht. Am nächsten Morgen überlegen wir, bei leichtem Nieselregen aus zu laufen um Fécamp zu erreichen. Wenn wir blieben, dann könnten wir das WLAN (ohne Datenlimit) weiterhin nutzen!!! Am 18:07.2004 - 22:02 Uhr, erreichen wir, nach einigen abendlichen Schlägen vor der Küste bei strahlendem Sonnenschein, Windstärken von 3-4 und schönem Sonnenuntergang auf dem Meer, bei auflaufendem Wasser und schließlich Regen, den Hafen von Fecamp. Erst nach Einholen des OK vom Hafenmeister, kann die lange, flache Hafeneinfahrt bei Dunkelheit bewältigt werden. Am nächsten Tag scheint die Sonne, Grund für einen zünftigen Grillabend, den wir auf der Mole des Hafens bei Feuerschein, sonst unbehelligt, durchführen. 20.07.2004. Der Wind hat auf Ost gedreht. Hoffnungsvoll laufen wir nachts um 01:00 Uhr mit dem Strom nach Cherbourg aus. Gegen 13:35 Uhr sind es noch 30sm nach Cherbourg. Es herrscht völlige Windstille und die 'eiserne Fock' treibt uns. Es beginnt eine Zitterpartie: Hoffentlich reicht der Kraftstoff für die restliche Strecke… Wir setzen „alles Zeug“, heben die letzten Liter Treibstoff für Hafeneinfahrt und Anlegemanöver auf und erreichen mit einem Hauch Wind Cherbourg. Die Festungsanlagen des letzten Krieges prägen die Hafeneinfahrt. Festmachen erfolgt bei Nieselregen und trüber Sicht gegen 20:00 Uhr. Mit 21° ist es verhältnismäßig warm. Den nächsten Tag verleben wir hier, machen Einkäufe und Stadtbummel. 22.07.2004 - 13:29 Uhr. „Wir haben Cherbourg verlassen und befinden uns auf dem Weg nach St. Helier auf Jersey“, melden wir nach Hause. Vor Guernsey ändern wir jedoch, wegen des Windes von vorn, unseren Plan und laufen St. Peter Port auf Guernsey an. In der Abendsonne liegt der helle Ort einladend zum Greifen nah vor uns, können ihn zu Fuß aber nicht erreichen. Vom Steg aus gelangt man nur mit dem Wassertaxi an Land. Wir ersparen uns den Aufwand und verlassen den dadurch nicht sehr gastlich wirkenden Ort am folgenden Tag. 24.07.2004 - 13:11 Uhr. Wir erreichen St. Helier auf Jersey und legen einen Hafentag ein. Die Tide von rund 10 m ist imposant. Heute ist Shopping und Sightseeing angesagt. Jersey entschädigt für Guernsey. Hier wirkt alles hell, leicht, fast französisch. Überall laufen hübsche junge Menschen herum. Die große, ins Watt hinein gebaute Meerwasserbadeanstalt mit allem Komfort ist frei zugänglich. Unsere jungen Leute verlässt der Mut, ich muss als Alter die Badehose allein auspacken. Dafür sind sie nachts unterwegs in einladenden Diskos. Die Insel hat ein Jugendproblem, wird uns gesagt. Dieses Paradies verlassen wir ungern in Richtung St. Malo. 25.07.2004 - 12:56 Uhr. Gleich wollen wir bei W-SW 4-5 bft Richtung St. Malo starten. Es ist heiter bis wolkig. Die Stimmung an Bord ist gut. Alle freuen sich die alte Festungsstadt zu sehen. Seit 20:40 Uhr liegen wir vor der Schleuse, die wir erst ab 23:30 Uhr, kurz vor Hochwasser, benutzen können. Bei W-SW mit 5-6 bft sind wir von Jersey hierher 'gesurft'. Wir legen Hafentag ein in St. Malo, dem bisher teuersten Hafen dieser Reise (36 Euro). Ein Auto haben wir uns gemietet und befinden uns auf dem Weg nach Mont St. Michel (berühmter Klostersitz mit hervorragendem Ausblick) rund 50 km von St. Malo entfernt. Der St. Michel mit seiner Bebauung ist ein beeindruckender Felsen, im Watt gelegen. Die ganze Welt scheint sich hier versammelt zu haben, so gedrängt geht es zu. Der Gebäudekomplex im Mischbaustiel wirkt in der Nähe so imposant wie aus der Ferne, eine Sehenswürdigkeit im Watt gelegen, die täglich von Tausenden besucht wird. Wir freuen uns über dieses Erlebnis. Dies ist zu gleich Höhepunkt und Abschluss unserer Reise. Wehmütig verlassen wir den Felsen und kehren in die vertraut gewordene Festung St. Malo zurück, um morgens in aller Herrgottsfrühe - das Hochwasser gewährt uns nur ein kleines Zeitfenster - Richtung Norden zu starten. Mal sehen wie weit und wohin uns der angekündigte Ostwind treibt. Ins Bordbuch schreiben wir: "28.07.2004 - 08:02 Uhr. Seit 06:00 Uhr sind wir unterwegs: Ziel Cherbourg. Die Sonne scheint, aber es ist noch kühl. Bei zur Zeit NNO mit 2 bft muss die Maschine helfen, das gesteckte Ziel zu erreichen. Wir warten auf den vorhergesagten Ostwind... und der kommt kaum, dreht bald über West auf Nordwest. Knapp kommen wir um die Küste herum und müssen vor Cherbourg gegen den starken Strom motoren." Kurz vor Mitternacht erreichen wir Cherbourg, unserem Übergabehafen. Am 30.07.2004 kommt der Sommer auch an die französische Kanalküste. Wir sind gut ausgeschlafen und erledigen den Rest der Putzarbeiten, bevor wir uns noch ein letztes Mal landfein machen. In der Abendfrische flanieren wir durch Cherbourg und beabsichtigen französisches Essen zu genießen. Das Restaurant, das Heiko ausgesucht und beinahe nicht wieder finden kann, mit Blick auf das Theater und dem geselligen Brunnen vor der weit geöffneten Schiebetür, nimmt uns gastlich auf. Die Bedienung ist nett, an Decke und Wänden des Lokals wird Sportfernsehen geboten. Als Fernsehen abgeschaltet wird, beginnt ein bemerkenswerter Gesangwettbewerb. Immer bessere Leistung der Interpreten wird hör- und sichtbar. Im Lande des Chansons wird Gesang auf hohem Niveau gepflegt. Auf dem Rückweg zum Boot kommen wir bei Dämmerung an der Freilichtbühne vorbei wo junge Bands Musik machen. Mark bleibt noch, um zu pogen, ist aber nach einer halben Stunde auch wieder bei uns. Ich gehe noch duschen, das kostet in Cherbourg 2 EUR. Wir legen uns zur Ruhe, unser letzter Abend in Frankreich. Am 31.07.2004 geht die schöne Reise zu Ende. Die Nachcrew ist morgens mit dem Auto eingetroffen, das wir für die Rückfahrt benutzen. Das Schiff wird mittags übergeben und wir treten die Heimreise an. Nur noch 1.250 km Autobahn trennen uns von Hamburg. Lutz sitzt das auf einer Backe ab. Mark und Rolf werden um Mitternacht in Ellerau abgesetzt, Heiko und Fabian fahren in der Nacht zurück nach Berlin und Lübeck. Lutz bleibt noch bei seinen Eltern, kehrt am nächsten Tag nach Freiburg zurück. Eine Segelreise hat ihr glückliches Ende gefunden. Wir sind einander näher gekommen durch gemeinsames Erleben und Leisten. Über alles wurden 620 nm gesegelt, 2500 km wurden mit dem Auto zurückgelegt. Dabei gewesene und auch daheim gebliebene machten gleichermaßen neue, reiche Erfahrung. Den jungen Skippern sei gedankt, für ihre herausragende navigatorische und sonstige, auch körperliche Leistung. Zu keiner Zeit war eine gefährliche oder auch nur kritische Situation entstanden in diesem schwierigen Seegebiet, das mit hohen Tiden und starken Strömungen seemännisches Können voraussetzt. Alles wurde meisterlich mit Verantwortungsbewusstsein, Geschicklichkeit und Geduld ausgeführt. Dies geht an Bord ohne Zucht- und Kommandosprache, einfach nur mit Fröhlichkeit und "am selben Strang ziehen". Das Essen war ausgezeichnet. Wenn mich jemand fragt, ob ich mit jungen oder alten Schiffern lieber segeln würde, werde ich nach dieser Erfahrung antworten: Natürlich immer lieber mit den Jungen. Rolf Schröder |